Freitag, 16. Oktober 2015

BWK_1993-2000



Die BWK in der globalisierten Wollwirtschaft:



Vom Blumenthaler Stammwerk zur BWK-Gruppe (1993 - 2000)

                      



                       Anzeige der BWK-Gruppe (Quelle: Sir Charles/ Förderverein)

Auch wenn für mehr als ein Jahrhundert die BWK mit ihrem Standort in Blumenthal identisch zu sein schien, machte sich das Management im Zuge der Globalisierung Gedanken um eine Neupositionierung des Unternehmens. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Öffnung Chinas für den Welthandel hatte sich auch der Wollmarkt geändert. Zentrale Entwicklungen waren daneben auch der Bedeutungsverlust der unabhängigen Wollhändler, für deren Bedürfnisse im 19. Jahrhundert die BWK als Dienstleister gegründet worden war; entscheidender jedoch die Entwicklung von China und einigen anderen Staaten Ost- und Südostasiens zu kostengünstigen Textilstandorten, die erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber den alten europäischen Werken besaßen.

Mit diesen revolutionären Änderungen des globalen Wollmarktes hätte 
man sehr plausibel einen notwendigen Umbau der BWK zur BWK-Gruppe erklären können. Auf einer Betriebsversammlung am 20.11 1987 (SC 5, 3f.) war das jedoch für den Vorstandsvorsitzenden nicht der Grund. Das Management glaubte vielmehr in Ostasien einen zusätzlichen Markt für Kammzüge entdeckt zu haben, für den man sich durch den direkten Einkauf von Rohwolle in Australien eine möglichst gesicherte Beschaffung gewinnen wollte.

Offenbar sollte so in Blumenthal keine Konkurrenz zwischen den Standorten an der Weser und in Neusüdwales gesehen werden, um am traditionellen Heimatstandort keine Unruhe in der Belegschaft aufkommen zu lassen.


Das Selbstbewusstsein und der Optimismus eines Großen


Bis in die 1980er Jahre, als man 1983 noch mit einer Festschrift den 100. Gründungstag der BWK begangen hatte und auf eine kontinuierlich erfolgreiche Geschäftspolitik zurückblicken konnte, schien die Wollwelt für das Unternehmen mit seinem einzigen Produktionsstandort an der Unterweser in bester Ordnung zu sein.

Man sah sich von der Größe des Einzelstandortes her als die Nummer 1 in der Welt und verschwendete nur wenige Worte auf den als Unternehmen größeren Konkurrenten Chargeurs mit seinem Sitz in Paris, der über ein Reihe kleinerer Kämmereien in Südamerika, Europa, Südafrika, Australien und Asien verfügte bzw. an ihrer Planung arbeitete.


Allerdings sah das Management in diesen Jahren durchaus die Veränderungen auf den Wollmärkten und in der Textilwirtschaft. In der Beurteilung legte man jedoch eine gewissen Gelassenheit an den Tag, da man sich als größte Kämmerei der Welt mit den entsprechenden Kostenvorteilen, wenn nicht in einer Position der Stärke, so doch relativ gut aufgestellt sah.


Weichenstellungen für die Zukunft


Die neue Geschäftspolitik, die das Werk in Blumenthal zu einer vor allem auch in Australien und Neuseeland stark verankerten global aufgestellten Gruppe machten sollte, bestand vor allem aus zwei Projekten, die sich weitgehend ergänzen sollten.

Wie der langjährige Vorstandsvorsitzende der BWK Christian Georgi nach seinem Ausscheiden am 17. 6. 1996 in einem Rückblick auf seine vierzigjährige Arbeit in der BWK, davon dreißig Jahre im Vorstand, erklärte, musste sich in dieser Zeit die BWK von einem Lohnbetrieb zu einem Kammzuganbieter entwickeln. Der Grund war eine veränderte Situation auf dem Wollmarkt, wo die Zahl der Wollhändler, die einst die BWK als ihren Dienstleister gegründet hatten, durch einen „Konzentrations- und Schrumpfungsprozess“ an Bedeutung verloren hatten, wie es Christian Georgi ausdrückte. Daher wurde zunächst eine eigene Einkaufs- und Vertriebsorganisation aufgebaut.


Diese vertikale Expansion durch Beteiligungen im Wollhandel war damit eine fast unumgänglich scheinende Reaktion auf das zurückgehende Kommissionsgeschäft. Hinzu kam die wachsede Nachfrage nach Wolle in den bevölkerungsreichen Ländern Asiens, so vor allem in China, für deren Belieferung mit Kammzügen ein Standort in Blumenthal nicht gerade als kostengünstig bezeichnet werden konnte. Daraus leitete das Management an der Weser die Notwendigkeit eines zweiten Standortes neben dem in Blumenthal sowie eigener Wollhandelsgesellschaften ab.


Die Vorbereitung der Expansion: Ein Finanzpolster für die Zukunft


Um für diese Expansion gewappnet zu sein, hatte die BWK in den noch guten Jahren vorgesorgt, also in einer Zeit, in der die Gesellschaft Dividenden zahlen konnte und damit über einen hohen Börsenkurs verfügte, der eine positive Zukunft signalisierte. Daher war es möglich, die Chancen des Kapitalmarktes zu nutzen und frisches Geld durch Kapitalerhöhungen aufzunehmen, deren Ausgabekurs deutlich über dem Nennwert der Aktien lag. Es bestand also die Möglichkeit an relativ preiswertes Kapital zu gelangen. Und diese Chance wurde auch genutzt. So konnten, wie die folgende Übersicht zeigt, zwischen 1995 und 1991 über 50 Mio. DM frisches Geld am Kapitalmarkt aufgenommen werden. Das ist nicht wenig, wenn man den Betrag in Relation zum Grundkapital setzt, den die BWK zu Beginn der Kapitalmaßnahmen im Jahr 1985 aufwies. Damals betrug das Grundkapital mit 22 Mio. DM nicht einmal die Hälfte der Einnahmen aus diesen Kapitalmaßnahmen.


Kapitalmaßnahmen der BWK 1985-1991

Datum
Quote
Ausgabekurs
Rechnerischer Abschlag
Neues Grundkapital
Bruttoein-
nahme
1985
10 zu 1
200,00%
6,14
22
4 Mio.
1986
5 zu 1
200,00%
32,83
26,4
8,8 Mio.
1989
8 zu 1
350,00%
7,33
29,7
11,6 Mio.
1990

568,00%

29,9
1,1 Mio.
1991
4 zu 1
360,00%
12,6
37,3
26,6 Mio.
Quelle: Hoppenstedt



Diversifikation und Expansion


                                     Quelle: Archivierte BWK-Homepage



Mit diesen Mitteln gelang der Bremer Wollkämmerei 1993 „der große Sprung", wie es die Fachzeitschrift Textilwirtschaft formulierte. Gemeint waren damit konkret der „Aufbau einer nagelneuen Wollkämmerei in Geelong und die Übernahme der Mehrheit an drei Wollhandelsgesellschaften“.

Trotz dieser großen Ankündigung wurde gleichzeitig auf die Risiken aufmerksam gemacht, da keiner „so recht weiß, ob (der Sprung) letztendlich nach vorn führt“. Dabei verwies der Autor vor allem auf die „wahrhaft schlechten Zeiten“ der Kämmereiindustrie. (Textilwirtschaft vom 28.4.1994)

Im folgenden soll die Strategie der BWK näher vorgestellt und auf ihren Erfolg hin analysiert werden. Dabei soll nicht nur eine Beurteilung aufgrund der späteren Entwicklung erfolgen, also aus dem Nachhinein, wo bekanntlich jeder schlauer ist, sondern auch mit einem Blick auf die Entwicklung des Börsenkurses, die immer auch ein wichtiger Seismograph für erwartete Entwicklungen ist, und durch einen Vergleich mit dem Konkurrenten Chargeurs.

Grundlage der Gesamtbetrachtungen sind dabei die Einzelentscheidungen, durch die das Anfang der 1990_er Jahre zu Verfügung stehende Kapital auf verschiedene Investitionen aufgeteilt wurde. Dabei sind neben den konkreten Einzelfragen auch die Optionen von Interesse, die öffentlich nicht weiter thematisiert wurden. Dazu zählen etwa die ganz generellen Fragen, ob es damals überhaupt sinnvoll war, weiter in Wollkämmereien zu investieren und dabei einen Betrieb wie den in Blumenthal zum Vorbild für eine zusätzliche Kämmerei zu nehmen.



Die Wahl zwischen Produzenten- und Konsumentennähe


Vor der Wahl eines zweiten Kämmereistandorts hatte das Management den australisch-asiatischen Bereich als Wachstumsmarkt und damit attraktiven Standort identifiziert. Das dürfte bei einer globalen Betrachtung leicht nachvollziehbar sein, da damit ein relativ weit von Blumenthal entfernter Standort ins Auge gefasst wurde.

Schwieriger ist die weitere Auswahl, bei der man, wenn man etwa an die Standortentscheidung für die BWK vor mehr als einem Jahrhundert in Blumenthal denkt, zwischen einer Kämmerei in der Nähe der Abnehmer, also vor allem der Wollspinnereien, denken kann, wie das etwa für Leipzig der Fall war, oder einen verkehrsgünstigen Standort wie es für Blumenthal zutraf. Eine dritte Möglichkeit konnte ein Standort in der Nähe der Wollfarmer sein, also etwa in Australien oder Neuseeland.

Im konkreten Fall scheint das Management eigentlich nur an einen Standort in der Nähe der Produzenten gedacht zu haben, also deutlich von den eigenen Erfahrungen an der Weser abgewichen zu sein.

Falls für den Vorstand Australien nicht eine selbstverständliche Entscheidung gewesen sein sollte, hat man eine entsprechende Diskussion gut verborgen halten können. Über die Vor- und Nachteile anderer Standorte ist jedenfalls nichts bekannt geworden.

Man kann daher über die Gründe nur Vermutungen anstellen. Sie haben möglicherweise in der australischen Woll-Politik gelegen, die auch ausländischen Unternehmen eine Ansiedlung relativ leicht gemacht hat, während das in den asiatischen Ländern mit einer Wollproduktion und -verarbeitung wie China, Indien, Iran und Pakistan nicht der Fall war.


Die australische Woll- und Kämmereipolitik



Die wirtschaftliche Entwicklung Australiens ist ohne die Schafzucht kaum denkbar. Um diese Abhängigkeit herauszustellen, spricht man daher häufig davon, dass Australien auf dem Rücken der Schafe reite. So stand 1994 eine Dokumention und dem Titel „Riding on the Sheep’s Back", als man bereits auf das Ende dieser 150-jährigen Ära zurückblickte, in der die Wolle zu einem Synonym für den australischen Way auf Life war. Daran erinnert beispielsweise noch heute eine in Australien verbreitete Kategorie von Schaf-Witzen, wobei die Schafe darin teilweise eine ähnliche Funktion übernehme musste wie bei uns die Blondinen.

Aber die Australier sehen nicht nur ihren Nationalcharakter und ihre spezifische Kultur durch die Wollproduktion geprägt, sie haben dem Merino-Widder auch mit seiner Darstellung auf der Shilling-Münze eine ganz besondere Ehrung zuteil werden lassen. (How wool)
 


                                          Shilling-Münze (Quelle: wikipeda)


Um die australische Wertschöpfung auf dieser Rohstoffgrundlage auszubauen, war die australische Politik bestrebt, die Rohwolle bereits in Australien weiter zu verarbeiten, bevor sie exportiert wurde. Wie die Übersicht zeigt, liegt so der Kilo-Preis für Kammzüge fast beim Doppelten des Preises für Rohwolle, sodass sich auf diese Weise deutlich Vorteile für die Volkswirtschaft eines Wollhandelslandes wie Australien realisieren lassen. So wurden Wollwäschereien, Wollkarbonisierungsbetriebe und Wollkämmereien teilweise finanziell gefördert. Zu diesen Subventionsempfängern sollen auch die BWK-Kämmerei in Geelong und der vergleichbare Betrieb von Chargeurs in Wagga Wagga gezählt haben. (Wool exporters, S.4)

In vielen Fällen sahen auch Unternehmen in diesem Bereich günstige Investitionschancen, da sich durch die Erzeugung von Kammzügen in Australien die Transportkosten in die Verbraucherländer deutlich senken ließen, weil die Rohwolle erheblich verschmutzt ist und dadurch mit ihrem Export eine Art Mülltourismus verbunden ist, der die Transportkosten überflüssig erhöht.


Wertschöpfung durch die Bearbeitung von Rohwolle 2004-5

Bearbeitungsstufe
Exportpreis
Rohwolle
5,50 $/kg
Gewachsene Wolle
6,81 $/kg
Kardierte Wolle
7,17 $/kg
Kammzüge
9,98 $/kg
Quelle: Wool Exporters, S. 2

Auf diese Weise wurde Australien während der 1990_er Jahre zum Kämmereistandort mit der weltweit größten Produktion. So hat man dort 1995 120 Mio. kg Rohwolle verarbeitet. Davon entfiel ein Viertel auf die Michell Pty Ltd und ein fast ähnlich großer Anteil auf die Chargeurs-Beteiligung Riverina Wool Combing in Wagga Wagga, die 1994 25 Mio. kg Kammzüge herstellte (Wool Report, S, 69, 71)


Die Planung eines australischen Standorts


Diese Entwicklungen waren allerdings noch nicht absehbar, als das Australien-Projekt der BWK der Öffentlichkeit erstmals auf einer Betriebsversammlung am 20.11.1987 angekündigt wurde. Der Vorstandsvorsitzenden Georgi teilte dabei den Mitarbeitern mit, dass „Überlegungen für die Errichtung einer Kämmerei in Australien unter Beteiligung und Federführung der BWK im Gange sind“.

Die Werkszeitung Sir Charles befragte anschließend Herrn Georgi nach den Hintergründen zu dieser „Sensation“, da sich die BWK 104 Jahre lang auf den Produktionsstandort in Blumenthal konzentriert hatte. In diesem Interview versuchte der Vorstandsvorsitzende bei der außerordentlichen Bedeutung dieser Nachricht abzuwiegeln, indem er auf den vorläufigen Stand der „Überlegungen“ hinwies. So beruhigte er die Blumenthaler Mitarbeiter, indem er den Umfang der durch die Kapitalerhöhungen zur Verfügung stehenden Mittel herausstellte: Deshlab wäre die BWK keineswegs dazu gezwungen, das Stammwerk wegen einer großen Investition in Übersee vernachlässigen 
zu müssen. Vielmehr könne man die Lasten auf mehrere Schultern verteilen, von denen finanziell gesehen nur gut die Hälfte auf Australien entfalle. (Sir Charles 5,3) 

Aber ohnehin hielt der Vorstandsvorsitzende das Risiko für durchaus akzeptabel, da die erforderlichen Gutachten sehr sorgfältig durchgeführt wurden. So hieß es: „Wir haben alle verfügbaren Daten gesammelt und analysiert... Das Ergebnis: Die Chancen sind groß. Die Risiken überschaubar.“

In den anschließenden Ausgaben von Sir Charles konnte dann von den Fortschritten in Australien berichtet werden. Wenn man sehr genau liest, lässt sich jedoch feststellen, dass das Konzept in dieser Zeit modifiziert wurde. Dabei ist die Beteiligung weiterer Partner ein zentraler Gesichtspunkt, da ein Rückzug ursprünglich interessierter Unternehmen immer misstrauisch macht, weil damit das Risiko für den Übriggebliebenen steigt, das mit einer Investition verbunden ist, die nur einen Kapitalgeber besitzt. Auch muss man vermuten, dass die Abgesprungen für ihre negative Entscheidung durchaus ihre Gründe hatten, da niemand ein Projekt aufgibt, von dem er sich eine sichere hohe Rendite verspricht.

In der folgenden Ausgabe konnte "Sir Charles" dann von ersten Planungsfortschritten in Australien berichten. So hatte das Schweizer Ingenieurbüro Gherzi, das große Fachkompetenz bei der Planung von Textilunternehmen besitzt, eine Bauvoranfrage (Planning Permit) gestellt, und zwar für einen Standort in Geelong bzw. Corio, ohne dass man über die Gründe für diese Wahl Näheres erfuhr.(Sir Charles 6,1)


Vorgesehen war im Endausbau bei Vollauslastung eine Kapazität von 15.000 jato, womit rund 25% des gesamten Geschäftsvolumens der BWK auf Geelong entfallen sollten, während man die restlichen 75% weiterhin im Stammsitz Blumenthal produzieren wollte. (Textilwirtschaft 1994)


                    GWC-Standort in Geelong/ Corio (Quelle: Sir Charles/ Förderverein)


Geelong selbst ist eine Großstadt von etwa 160.000 Einwohnern 75 km südwestlich von Melbourne, in der eine Reihe internationaler Großunternehmen industrielle Arbeitsplätze anbietet. Der große Containerhafen der Metropole des australischen Bundesstaates Victoria ist sogar nur 60 km entfernt, also kaum weiter als Bremerhaven für Blumenthal.
Der ausgewählte australische Standort besaß anders als Blumenthal keine Kämmereitradition, auch wenn die Stadt als ein Zentrum der australischen Wollwirtschaft gilt, worauf nicht zuletzt das 1988 eröffnete National Wool Museum hinweist. 

Das Bremer Management konnte daher nicht unbedingt Mitarbeiter erwarten, die vor allem an dem Erhalt ihrer Arbeitsplätze in der Kämmerei interessiert waren. Das scheint die industriellen Konflikte verschärft zu haben, die später der Anlass für die Schließung der Kämmerei waren.

Auch setzt die Stadt, wenn man ihr Entwicklungskonzept heranzieht, weniger auf die Wollverarbeitung, die nur als Teil der frühen Industrialisierung und als Gegenstand des Nationalen Wollmuseums und damit als Touristenattraktion gesehen wird. Hingegen will man sich dank der günstigen Lage am Ozean und des hohen Freizeitwertes bis 2015 zu einer pulsierenden und vibrierenden Stadt entwickeln, in der vor allem wissensbasierte Unternehmen ihren Standort finden sollen. 


Der Bau der Wollkämmerei in Geelong



                                    GWC in Geelong  (Quelle: Sir Charles/ Förderverein)



Auch wenn es in der Werkszeitung keinen Artikel gibt, der über Änderungen bei der Projektierung der Kämmerei in Geelong informiert, lassen sich doch aus verschiedenen Einzelberichten solche Modifikationen zusammentragen, wobei man allerdings keine Erklärungen ihrer Ursachen erhält.

So war auf der Betriebsversammlung, durch die das Projekt publik wurde, von einer „Reihe von ausländischen Partnern“, die Rede, die „mitmachen will“. Dabei sollte die BWK sogar für die Hergabe von Know-how eine Lizenzgebühr erhalten. (Sir Charles 7,1)

Im Oktober 1989 waren dann die Baupläne erstellt, eine australische Gesellschaft, die unter „Geelong Wool Combing Limited“ firmierte, gegründet und ein Grundstück an der Corio-Bay in Geelong erworben. Man musste also nur auf einen günstigen Zeitpunkt für den Beginn der Bauarbeiten warten, die nach knapp 18 Monaten abgeschlossen sein sollten. (Sir Charles 11,2)


Auf diesen Termin musste man dann noch fast drei Jahre warten, sodass sogar die Werkszeitung ihre Leser nach diesem langen Pause nochmals über die Gründe für den Gang nach Australien aufklären musste. Offenbar war in dieser Zeit das Interesse weiterer Investoren geschwunden; denn jetzt war nur noch von einem Neubau durch die BWK die Rede. Die Grundsteinlegung, an der neben dem BWK-Vorstandschef Gerhard Harder sowohl der australische Wirtschafts- als auch der Industrieminister teilnahmen, erfolgte am 21.8.1992.

Parallel zu den Baumaßnahmen wurden die personellen Voraussetzungen für den Kämmereistart geschaffen. Hierzu hatte die BWK eine Kerntruppe von Ingenieuren und Schichtleitern in Geelong eingestellt, aus denen der australische General Manager ein schlagkräftiges Team zusammenschweißen sollte. (Sir Charles, 18,1) Ebenfalls erfolgte für acht australische Mitarbeiter zwischen Januar und April 1993 eine drei Monate lange Einarbeitung und Schulung in Blumenthal (Sir Charles, 19,2)

Am 3. September 1993, also ein gutes Jahr nach der feierlichen Grundsteinlegung, konnten sich die Mitarbeiter in Geelong dann über die erste Kammzugspule aus der Produktion der GWC freuen. (Sir Charles 20,7) Kurze Zeit später, und zwar am 10. Dezember 1993, erfolgte schließlich die offizielle Betriebsaufnahme. (Sir Charles 20, 1)


                Feierliche Eröffnung (Quelle: Geschäftsbericht 1997 (Förderverein))


Im Mai 1994 konnte die zweite Linie anlaufen, sodass sich die Kapazität auf 7.500 to/ Jahr verdoppelte. Damit hatte die BWK ihr großes Ziel erreicht und verfügte mit knapp 130 Mitarbeitern über die modernste und effizienteste Kämmerei Australiens. 



    Wollkämmerei Geelong (Quelle: Sir Charles/ Förderverein)




In Geelong wurden jedoch nicht nur Kammzüge hergestellt, sondern durch die Tochtergesellschaft Topsoils of Australia Pty. Ltd. auch unter der Marke TopSoils aus Abfallstoffen, die bei der Wollwäsche anfielen, ein organischer Dünger. Dadurch sollten gleichzeitig die erforderlichen Abwasser- und Deponiekosten bei der Wollwäsche reduziert werden.

                           TopSoil-Logo (Quelle: archivierte BWK-Webseiten)


Im vierten Quartal 1997, also vier Jahre nach der Grundsteinlegung, wurde die Gewinnschwelle erreicht. Daher zahlte man rasch die Kredite aus dem laufenden Cashflow zurück, um die Zinsbelastung zu senken. Für das Management war es damit eine ausgemachte Sache, dass sich das „größte Investment in der Geschichte der Bremer Woll-Kämmerei AG „jetzt“ bezahlt machte und „dadurch auch die Zukunft des Werkes in Bremen“ sicherte. (SC 35,5)

Die Euphorie des Jahres 1997, das einer Reihe eher durchwachsener Geschäftsjahre mit eher roten Zahlen gefolgt war, ließ sogar an ein „Regional Headquarter“ (RHQ) in Melbourne denken, das als Sprungbrett der BWK-Gruppe in die asiatisch-pazifischen Märkte dienen sollte. Dadurch sollte nicht nur die kontinuierliche Auslastung der Kapazität in Geelong gesichert werden. Man fasste bereits eine Verdoppelung der Produktion ins Auge, wofür die infrastrukturellen Voraussetzungen gegeben waren, sodass nur weitere 40 Mio. A$ erforderlich waren, um die benötigten 100 zusätzlichen Arbeitsplätze für den Kämmereibetrieb zu schaffen. (Sir Charles 35,5)


Vor allem in der Werkszeitung wurde mehrfach die gute Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen in Australien hervorgehoben. So sah sich die BWK von Beginn an in Geelong „von der australischen Regierung mit ganzem Herzen unterstützt. Erfüllt die GWC doch alle Bedingungen, mit dem besten Know-how und der besten Technik den Wert der australischen Ressourcen zu erhöhen.“ (Sir Charles 23,3)

Dabei ging es jedoch nicht nur um eine eher atmosphärische Hilfe, sondern auch um ganz Materielles. Wie später in Australien bekannt wurde, stammten von den Investitionskosten in Geelong, die die BWK mit 100 Mio. DM beziffert hat (Sir Charles, 32,2) 25 Mio. A$ oder gut 20% aus Mitteln der australischen Zentralregierung.(Lee)



Der Kauf von drei Wollhandelsgesellschaften


Als die BWK 1993 drei Wollhandelsgesellschaften in Europa, Australien und Neuseeland von der Metro und einem weiteren Eigentümer kaufte, entsprach die von diesem Verbund gehandelten gewaschenen Wolle mit 40.000 Tonnen genau der Menge, die die BWK damals selbst an ihrem Blumenthaler Standort verkämmte. (21,3) Für den Metro-Anteil, der bei 75% lag, soll die BWK 20 Mio. DM damals bezahlt haben.

Das zeigt den Umfang dieses zusätzlichen Geschäfts auf. Allerdings wurde durch diese Firmenübernahme auch das Produktangebot um Rohwolle und gewaschene Wolle erweitert, sodass es sich um eine horizontale und vertikale Expansion des angestammten Geschäfts der BWK gehandelt hat.

Besondere Erwartungen setzte der BWK-Vorstand jedoch auf ein Kooperationsabkommen mit der Verkäufer, der Metro International im schweizerischen Zug. Danach wollte der Handelskonzern der Bremer Kämmerei helfen, "Marktchancen im Textilbereich zu nutzen", wie es im BWK-Geschäftsbericht hieß. So erwartete Gerhard Harder, der damals im Vorstand für den Verkauf der Kammzüge zuständig war, eine „BWK-orientiertere Textil-Einkaufspolitik der Metro", was der BWK zu besseren Erlösen verhelfen sollte, wenn der Aufbau einer "Absatzkette" nach und nach erfolgt war. (Textilwirtschaft vom 28.4.1994)


Organisatorisch gesehen bestand der Kauf aus der Muttergesellschaft NEW, die gleichzeitig auch ein operatives Handelsgeschäft betrieb, und zwei Töchtern in Australien und Neuseeland.


Das Neues Wollkontor (NEW): Eine Mutter mit attraktiven Töchtern und zusätzlicher Ostfantasie


                             Quelle: Archivierte BWK-Hompage


Die Neues Wollkontor GmbH selbst wurde 1966 in Essen gegründet und betrieb ihren Wollhandel vor allem in Ost- und Südeuropa, aber auch bis in den europäischen Mittelmeerraum und noch darüber hinaus. So war man auch in Ägypten, Syrien, Marokko und dem Iran vertreten.

Allerdings hatte dieser Wollhändler eine noch wesentlich längere Geschichte, da er aus der Exportabteilung der Wollhandlung Wilhelm & Conrad Waldthausen hervorgegangen ist, einer Firma, die ihre Gründung selbst auf das Jahr 1779 datiert, während die Wirtschaftshistoriker das Jahr 1820 annehmen. Dabei erwies sich der Wollhandel als so ertragreich, dass die Familie genügend Kapital gewann, um es im Bergbau und im Bankbereich erfolgreich arbeiten zu lassen und zu einer angesehenen Patrizierfamilien der Ruhrgebietsmetropole Essen aufzusteigen. Erst in den 1960_er Jahren musste ein Vergleich anmeldet werden, der in diesem Fall die Chance für einen Neubeginn schuf.

Schon in dieser Zeit besaßen die Wollhändler aus Essen gute Kontakte in die damals sozialistischen Länder Ost- und Südosteuropas, woran die Gesellschaft mit ihrem neuen Eigentümer im Zuge der Ostfantasie nach der wirtschaftlichen Transformation anknüpfen wollte und konnte; denn diese Staaten waren auf Wollimporte vor allem aus Hauptexportländern wie Australien angewiesen.


Die Interessen des Neuen Wollkontors lagen jedoch nicht nur in Osteuropa und im weiteren Mittelmeerraum. So erfolgte 1976 und 1978 eine direkte Expansion auf den Fünften Kontinent, als man mit Booth und J.S. Brooksbank zwei dortige Wollhandelsgesellschaften kaufte.

Damit blieb NEW nicht mehr, wie es für den deutschen Wollhandel typisch war, ein Zwischenhändler. Die Firma konnte vielmehr auf eine Einkaufsorganisation in Übersee zurückgreifen, also die Rohwolle direkt vom Schaffarmer erwerben. Diese Expansionsentscheidung erwies sich in den nächsten Jahre als kluger Schritt, da die Umsätze aller drei beteiligten Gesellschaften anstiegen.

Eine neue Entwicklung ergab sich 1989, als der Handelskonzern Metro die Mehrheit an der NEW übernahm. Daneben behielt der Wollfachmann Dieter Vollstedt eine Beteiligung von 25 %. Damals erzielte die Gesellschaft mit 53.000 t gewaschener Wolle einen Umsatz von 430 Mio. DM

Mit dem Verkauf an die BWK begann 1993 eine neue Entwicklungsphase für die NEW, da sie damit erstmals mit einem Kämmereikonzern verbunden war. Allerdings hatte in diesen Zeiten vor allem die Mutter NEW unter dem Niedergang der Wirtschaft in Osteuropa zu leiden, wo fehlende Devisen während der marktwirtschaftliche Transformation die Wollkäufe erheblich einschränkten. (Sir Charles, 30,3) 




Mehr Nähe zu den australischen Wollfarmern: BWK Booth Pty. Ltd.




                                            Quelle: Archivierte BWK-Homepage



Das neue Standbein in Australien, die spätere BWK Booth Pty. Ltd., wurde am 22.6.1960 durch zwei Wollhandelsfirmen aus Australien und Großbritannien gegründet. 1995, also kurz nach der Übernahme durch die BWK, konnte Booth etwa 10 % der australischen Schur verkaufen, hatte also eine starke Position hinter Elders. Für den neuen Besitzer übernahm Booth die Wolleinkäufe und dabei vor allem das Auktionsgeschäft. Deshalb wurden gleich 1994 die Firmen W.M. Eckels & Co sowie Alan Grist (Wool) Pty. Ltd. speziell für Auktionskäufe erworben. (Sir Charles 26, 6)

Nach diesen Übernahmen setzte BWK Booth 1995 mit 29 Mitarbeiter 350.000 Ballen für 370 Mio. DM um, und zwar nicht nur Rohwolle, sondern auch gewaschene Wolle sowie Kammzüge. Letzte stammten auch teilweise aus Geelong. 


Um der Wollproduktion besonders nahe zu sein, verfügte die Gesellschaft über Büros in den Regionen Nord, Süd und West, in denen Auktionen stattfinden, so neben der Zentrale in Sydney auch in Melbourne, Fremantle und Yennora. Damit gehörte diese Gesellschaft der BWK-Grupe zu den drei größten Wollexporteuren Australiens

Ein weiterer Zukauf unter der Ägide der BWK war zum 27.4.1998 die Übernahme des australischen Wollwaschgeschäft des dänischen Wollhandelsunternehmen Bloch und Behrens Pty. Ltd. (B&B), das einst Lohnkunde der BWK war und das Kammzuggeschäft selbst 1996 aufgegeben hat. Diese neue Gesellschaft setzte mit sieben Mitarbeitern 30 Mio. DM um. (Sir Charles 37,2)



Auf dem Weg zum größten Wollexporteur Neuseelands: J.S. Brooksbank


                              Quelle: Archivierte BWK-Homepage


Die neuseeländische Beteiligung wurde am 14.12.1945 mit 1.000 Pfund Anfangskapital in Yorkshire gegründet. Ihr Schwerpunkt war zunächst der Handel mit Waschwolle. So lag es nahe, dass sich die JSB nach der Übernahme durch die BWK im Januar 1995 mit einem Drittel an der Firma R.F. Woolscour Ltd. in Dunedin beteiligte, die dort Wolle wäscht und anschließend presst, sodass sie weniger Gewicht und Volumen beim Schiffstransport erfordert.

JSB belegte nach der Übernahme durch die BWK den zweiten Platz unter den neuseeländischen Wollexporteuren und führte 19.000 Tonnen Wolle, von denen über die Hälfte im Kundenauftrag in Neuseeland gewaschen wurde, in über 20 Länder aus.


Durch die zusätzliche Übernahme des vorhandenen BWK-Geschäfts erwartete man einen Marktanteil von 15 – 20 % und damit den Aufstieg zum größten Wollexporteur Neuseelands. Für dieses Geschäft waren damals drei Wolleinkäufer, vier Mitarbeiter in der Verwaltung und drei Sekretärinnen verantwortlich. Auch dieses Personalstruktur zeigt sehr anschaulich, dass die BWK mit dem Wollhandel in einen neuen Geschäftszweig investiert hatte


Statt kontinuierlichem Ausbau der Gruppe: Restrukturierungsprogramme




Die 1990_er Jahre waren jedoch bei er BWK in Blumenthal keineswegs durch diese Aufbruchstimmung geprägt, durch die die BWK ein neues, globales Gesicht erhielt und in der Australien näher nach Bremen zu rücken schien.

Gleichzeitig musste sich der Betrieb im operativen Geschäft mit veränderten Verhältnissen auf dem Markt für Rohwolle auseinandersetzen. Hier blieben die kräftigen Schwankungen (vgl. Tabelle) weiterhin ein treuer Begleiter des Kämmereigeschäfts. Hierzu zählten kräftige Preiseinbrüche in den Jahren 1992-3, 1995-6 und schließlich 1998-9. Das war nichts Neues auf dem Wollmarkt und konnte sogar bei einer gelungenen Einkaufspolitik den Ertrag steigern. Man musste nur zu niedrigen Preisen die Lager füllen und sie bei höheren Preisen wieder abbauen.

Anders jedoch als im Vergleichszeitraum 1979-80 bis 1990-1, als der Wollpreis von 243,6 c/kg (1979-80 ) auf 413,8 c/kg (1990-1) gestiegen war und 1988-9 sogar einen Spitzenwert von 647,3 c/kg erklommen hatte, bestand in diesem Jahrzehnt kein eindeutig nach oben gerichteter Preistrend mehr. Damit fiel eine Lagerhaltung oder eine Spekulation auf die Wollpreiszyklen als fast sichere Einkommensquelle aus, und man war dem operativen Geschäft besonders stark ausgeliefert. Das erwies sich in diesen Jahren als besonders problematisch, da die Rohwollerzeugung rückläufig war, wie die Verkleinerung des Herdenbestandes von 173,8 Mio. Schafen (1989-90) auf nur 110,9 Mio. Schafe (2000-1) im Hauptwollland Australien anzeigt.

Die Entwicklung der Rohwollpreise 1989-2001 in Australien

JahrAnzahl der Schafe in Mio.Preis für Rohwolle in c/kg
1989-90
173,8
555,3
1990-1
166,6
413,8
1991-2
151,0
358,8
1992-3
140,5
313,5
1993-4
132,6
330,1
1994-5
120,9
504,4
1995-6
121,1
386,7
1996-7
120,2
403,0
1997-8
117,5
444,3
1998-9
115,5
323,3
1999-2000
118,6
357,3
2000-1
110,9
512,0
Quelle: Wool Report, S. 12

Den gravierenden Trendwechsel auf dem Wollmarkt kann man erkennen, wenn man die 80_er Jahre mit den 90_ern vergleicht. Im ersten Jahrzehnt stiegen die Preise um insgesamt 216,9 % oder jährlich durchschnittlich um 12,7 %. Ein Wollhändler konnte in diesen Jahren also mit einem Wolllager ohne große Geschäftstätigkeit eine überdurchschnittlich gute Rendite erzielen. Das dürfte zwar in dieser Ausschließlichkeit für keine Kämmerei mit ihrem operativen Geschäft und ihren fest eingestellten Mitarbeitern gelten, aber für einen kleinen oder auch etwas größeren Windfall-Profit oder Marktlagengewinn wird es allemal gesorgt haben.

Diese Chance für eine Ergebnisverbesserung gab es in den 90-er Jahren nicht mehr. Hier fiel der Wollpreis sogar insgesamt um 13,7 %. Das ist pro Jahr ein durchschnittlicher Verlust von -1,9 %.

Mit einem bloßen Lageraufbau war es also nicht getan. Vielmehr musste man auch möglichst erfolgreich die üblichen zyklischen Preisschwankungen nutzen (vgl. das Diagramm zu den Wollpreiszyklen), wenn man nicht schon durch die Entwicklung der Wollpreise Verluste einfahren wollte.




              Zyklen des Wollpreises 199- 2003 (Quelle: Chargeurs-Geschäftsbericht)



Unmittelbarer Auslöser dieser Entwicklung war die Aufgabe der Marktintervention durch den sogenannten Reserve price scheme (RPS) in Australien, den man dort auf Betreiben vor allem der kleineren der Wollfarmer und einer kleinen Regierungspartei, die ihre energisch Interessen vertrat, im Juni 1972 mit der Gründung der Australian Wool Corporation (AWC) eingeführt hatte. Im Endeffekt hatte der Ankauf von Rohwolle bei sehr niedrigen Prisen jedoch nicht zu der gewünschten Stabilisierung der Wollpreise und damit mehr Planungssicherheit für die Wollfarmer gesorgt, sondern zu stark steigenden Preisen, zu denen Wolle nicht mehr konkurrenzfähig im Vergleich zu anderen Fasern war. Die Folge war ein Pufferbestand von über 4 Milliarden Ballen, der damit die Höhe der Schur eines ganzen Jahres erreichte, da bei den hohen Interventionspreisen die AWC 71 % der Rohwolle aufkaufen musste. Die Finanzierung führte zu Schulden in Höhe von 4 Milliarden $, was die AWC an den Rand der Insolvenz brachte, sodass schnell gehandelt werden musste.

In der Folge wurde das System aufgeben und die gelagerte Wolle nach und nach möglichst preisschonend verkauft, was sich bei der insgesamt rückläufigen Nachfrage nach Wolle über ein Jahrzehnt hinzog (vgl. Diagramm) und damit den Markt belastete. (Evans)

                                Quelle: BWK-HV 1997 (Archivierte BWK-Webseite)


Für anerkannte Ökonomen war dieser Versuch einer staatlichen Intervention auf einem Rohstoffmarkt daher der größte Fehler, den die Politiker in Australien jemals begangen haben. Die Abnahmegarantie hatte die Wollproduzenten von einer notwendigen Orientierung an den Anforderungen des Marktes abgehalten, sodass die Wolle viel von ihrem positiven Image eingebüßt hat.

Als Folge musste nicht nur der hohe Pufferbestand möglichst preisschonend abgebaut werden, sondern trotz dieser Belastung das Ansehen von Wollprodukten beim Endverbraucher wieder gestärkt werden.

So zog sich der Verkauf des Pufferbestandes bis zum August 2001 hin und beeinflusste damit fast für ein Jahrzehnt den Wollmarkt entscheidend.



Der Optimismus in „Sir Charles“


Während solcher schwierigen Marktbedingungen ist es nicht einfach, die Mitarbeiter auf meist harte Einschnitte vorzubereiten, ihnen aber trotzdem nicht die Motivation für ihre Arbeit zu nehmen.

In dieser Rolle dürfte sich die Werkszeitung "Sir Charles" gesehen haben, die weitgehend die Lagebeurteilung des Managements an die Mitarbeiter kommuniziert hat. Dabei ist es nicht immer klar, ob vor allem viel Zweckoptimismus verbreitet wurde oder der Vorstand selbst die Veränderungen auf dem Wollmarkt unterschätzt und damit möglicherweise Korrekturen an seiner Gruppenstrategie nicht früh genug geprüft hat.

Das immer wieder bekundete Selbstbewusstsein wird dabei aus der Geschichte der BWK abgeleitet. So konnte beispielsweise Sir Charles seine Leser 1992 mit der Überschrift „Schwierige Zeiten – aber die BWK ist gut gerüstet“ (Sir Charles 19,1) beruhigen, wobei die Zeitung auf die vorgenommenen Investitionen verwies, die „unsere Zuversicht in die Leistungsfähigkeit unseres Betriebes jetzt und in Zukunft“ unterstreichen. Daher wurde sogar eine kaum verdiente Dividende ausgeschüttet und deshalb auf eine Dotierung der Rücklagen verzichtet. Als großer Wettbewerbsvorteil wurde dabei auf die „modernste technische Ausstattung“ verwiesen.


In einem spezielle Ausblick auf das Jahr 1993 hat man die damalige durch einen Lagerabbau ausgelöste „Nachfrageschwäche“ zwar als außergewöhnlich lange eingeschätzt. Jedoch glaubte man in Gesprächen mit wichtigen Abnehmern „bereits wieder einen Unterton von Optimismus herausgehört zu haben“ Insgesamt vertraute man, wie ausdrücklich betont wurde, auf die in „Jahrzehnten bewiesene Kraft, auch schwierige Zeiten zu meistern“. (Sir Charles 19,2)

Im April 1995 (Sir Charles 24, S.2 ) berichtete man von ersten Erfolgen der Anfang 1994 eingeleiteten „Maßnahmen zur Kostenreduzierung und Produktivitätssteigerung“ und betonte, 1995 wieder Gewinne erzielen zu wollen. Auch gelangte das Management trotz der nicht gerade rosigen Zahlen dank einer etwas eigenwilligen Interpretation der Veränderungen auf dem globalen Wollmarkt zu einer positiven Beurteilung seiner Investitionsentscheidungen: „Die zunehmende Verlagerung von Kammgarnspinnkapazität in Länder außerhalb Europas bestätigt die Richtigkeit unserer Entscheidung zur Gründung des Werkes“ in Geelong. (Sir Charles 28,3) 

Von einem zusätzlichen Asiengeschäft war also nicht mehr die Rede und auch die fast zwangsläufig notwendigen Schlussfolgerungen dieser neuen Einschätzung für den Blumenthaler Standort wurden nicht öffentlich angesprochen.

Alle diese Veränderungen scheinen den BWK-Vorstand nicht zu einer Prüfung seiner Strategie veranlasst zu haben, denn in einer Ad-hoc-Meldung vom April 1998 sah er die BWK-Gruppe durch die „ Maßnahmen der letzten Jahre“ „gestärkt“. Er war daher „davon überzeugt, dass wir gut auf eventuelle Veränderungen im Markt vorbereitet sind“ und rechnete „auch für 1998 mit einem positiven Verlauf“. Das war nach nur einem Jahr mit einem kleinen Gewinn eine sehr mutige Prognose, wenn man die tatsächlichen Zahlen betrachtet. (ad hoc vom 28.04.1998)


Sogar am Ende des kritischen Jahres 1998, als mehrere Monate Kurzarbeit hinter den Mitarbeitern lagen und weitere beschäftigungslose Zeiten für das neue Jahr angekündigt waren, zeigte sich der Vorstand optimistisch. (Sir Charles 39,1) So sah er in Verbindung mit seinen Weihnachts- und Neujahrsgrüßen „zaghafte Anzeichen für Optimismus“ und verwies auf steigende Rohwollpreise, ordentliche Auftragseingänge, eine gute Vertretung von Wolle in den Kollektionen und ganz speziell mehr Lohnaufträge für die Kämmerei in Geelong.


Die tatsächliche Entwicklung der BWK


Wenn man nur die Ankündigungen des BWK-Vorstands liest, muss man die BWK in den neunziger Jahren für ein Unternehmen halten, das sich trotz aller Belastungen durch den Wollmarkt dank richtiger Managemententscheidungen gut geschlagen hat.

Ein Blick auf die tatsächlichen Zahlen ist daher nicht nur überraschend, sondern vor allem enttäuschend, wenn man nicht gerade die Position der Konkurrenz vertritt.



Umsätze der Gesellschaften der BWK-Gruppe in Mio. DM

Unternehmen/ Segment
1996
1997
1998
1999
2000
BWK AG
465
513
389
289
305
Geelong Wool Combing (GWC)
10
15
7
13
13
Kämmereien
475
528
396
302
318
BWK AustralAsia
142
110
123
122
103
J.S. Brooksbank
117
85
85
75
89
Neues Wollkontor (NEW)
33
50
46
30
3
Wollhandel
292
245
254
227
195
Gruppe
767
773
652
531
521
Quelle: Nach adhoc-Meldungen; 2000: BWK AustalAsia bis 31.10.2000

So sprechen allein schon die Umsatzzahlen für die einzelnen Unternehmen der BWK-Gruppe eine eindeutige Sprache, denn danach wurde die BWK-Gruppe durch die Krise auf dem globalen Wollmarkt mit voller Wucht getroffen. Und das gilt nicht nur für das Blumenhaler Standbein, sondern auch für seine australische Ergänzung. Hier konnten die neuen Beteiligungen auf dem 5. Kontinent die Umsatzverluste aufgrund des gesunkenen Wollpreises, die bei etwa 10 % lagen, bei weitem nicht kompensieren. So erreichte die moderne Kämmerei in Geelong 1997 ihr bestes Jahr, während die beiden Wollhandelsgesellschaften, die für de Materialversorgung in Geelong sorgen sollten, seit 1996 fast stetig Umsatz verloren haben. Besonders negativ fallen jedoch die Zahlen für die NEW aus, deren Umsatz sich in den fünf Jahren zwischen 1996 und 2000 auf nur noch ein Zehntel dezimiert hat.

Für dieses praktische Ende der aktiven Geschäftstätigkeit gibt es in der ad-hoc-Meldung, de sich auf den Abschluss für 2000 bezieht, weder eine Erklärung noch einen Hinweis auf den damit verbundenen Jahresabschluss.



Das Urteil des Kapitalmarktes


Der Kapitalmarkt und damit die Investoren, die sich außerhalb des BWK mit einer Einschätzung der Zukunftsaussichten beschäftigten, sahen bis Anfang 1995 die Entwicklung offenbar abwartend; denn der Kurs schien bei etwa 200 DM fest zementiert zu sein. Daran konnten auch die Meldungen über den Kauf der Wollhandelsgesellschaften und der Baubeginn und die Produktionsaufnahme der Kämmerei in Australien nichts ändern. Man kann daraus jedoch ableiten, dass die Euphorie aus Blumenthal in der Finanzwelt nicht gerade generell geteilt wurde.


Bereinigte Kurse in € zwischen 1995 und 1999

Jahr
Höchst
Tiefst
Ultimo
1995
101,49
51,38
53,69
1996
65,45
40,70
47,55
1997
90,24
50,11
80,78
1998
87,89
35,28
43,46
1999
46,00
28,50
29,50
Quelle: Hoppenstedt 2000, S. 174


Ab 1995 wurden dann weniger die Aussichten einer neuen globalen Aufstellung, sondern die harten, meist roten Ergebniszahlen an der Börse gehandelt. So halbierte sich der Kurs im Verlauf de Jahres 1995 als Reaktion auf die absehbaren hohen Verluste und 1997 kam es im Zuge der verbesserten Geschäftszahlen zu einer Zwischenerholung, während der fast die Kurshöhen der frühen 1990_er Jahre wieder erreicht wurden. Aber 1997 war ein letztes wirklich gutes Jahr für die BWK, für das noch eine Dividende dieses ehemaligen Witwen- und Waisenpapiers ausgeschüttet werden konnte. Danach ging es dann wieder mit den Verlusten in den roten Bereich, sodass sich die Aktie und damit der Marktwert des Unternehmens seit Anfang 1995 bis zum Ende des Jahrzehnts gedrittelt hat.

Kurzfristig konnte das Management etwa auf der Hauptversammlung 1997 die Entwicklung allerdings positiver darstellen, wenn man etwas voreilig aus der Bodenbildung im zweiten Halbjahr 1996 und dem anschließenden Kursaufschwung auf eine generelle Trendwende schließen wollte.



Rede des Finanzvorstandes auf der HV 1997 (Quelle: archivierte BWK-Webseite)


Strategie und Ergebnisse des globalen Wettbewerbers Chargeurs Wool

Chargeurs-Geschäftsbericht 1998


Besaß die BWK zwar mit ihrer Wollkämmerei in Blumenthal das weltgrößte Werk in diesem Sektor der Textilindustrie, war sie dadurch nicht immer das größte Kämmereiunternehmen auf dem Globus. Hier rangierte sie meist hinter der französischen Industrieholding Chargeurs S.A.deren Wollsparte allein einen höheren Umsatz erzielte als die BWK.

Die Muttergesellschaft entstand 1980 in der heutigen Form durch den Finanzanalysten
 und Milliardär Jérome Seydoux, der die Gesellschaft über zwei Jahrzehnte direkt und über Firmen kontrolliert hat, bei denen er über einen entscheidenden Einfluss verfügt, so vor allem PathèAb 2001 wurde diese Beteiligung teilweise vom Vorstand Eduardo Malone übernommen, wobei die Stimmen jedoch weiterhin gepoolt sind, sodass sich an den Machtverhältnissen nichts Wesentliches geändert hat.

Als Chargeurs Wool im Juni 1996 erstmals in einer neuen gesellschaftsrechtlichen Organisationsform berichtet hat, waren die Mitarbeiter der bereits länger bestehenden Wool-Gruppe noch zu etwa einem Drittel in Europa, Amerika und dem Bereich Asien/Südafrika beschäftigt. So produzierten damals in Europa noch die Leipziger Wollkämmerei sowie vergleichbare Betriebe in Frankreich (Amédée Prouvost im alten Wollzentrum Roubaix), Großbritannien (Hart Wool im alten Wollzentrum in Bradford) sowie Beteiligungen von 50 % in Italien (Pettinatura ) und Ungarn (Gyor Wool Combing). Wie die Vielzahl dieser Kämmereien zeigt, setzte Chargeurs weniger auf die Größe der Betriebe mit der entsprechenden Stückkostendegression, sondern eine Risikominderung durch Beteiligungen an regional breit gestreuten Wollkämmereien.

Insgesamt besaß damals Chargeurs einschließlich seiner Kämmereien in Argentinien, China (Zhangjiagang Yangtse Wool Combing ), Südafrika und Uruguay (Lanas Trinidad) eine Kapazität von 145.000 t pro Jahr.


Regionale Verteilung der Mitarbeiter von Chargeurs Wool in %

Jahr
Europa
Amerika
Asien
Südafrika
1996
34
32
24
10
2000
25
28
35
12
Quelle: Chargeurs-Geschäftsberichte für 1996 und 2000.

Den Unterschied machte jedoch nicht nur die regionale Verteilung der Kämmereien aus, sondern auch eine abweichende Finanzpolitik, wie sie in einem nach dem bekannten Klonschaf benannten Programm Dolly ihren Niederschlag gefunden hat. Danach will Chargeurs nicht mehr der global führende Betreiber von Wollkämmereien sein, sondern stattdessen der führende Dienstleister für Kammzüge. Das war einerseits ein bilanzieller Ansatz, indem zunächst nur die Kämmereiinteressen in eine eigene Gesellschaft eingebracht wurden. Später wurden dann jedoch viele Kämmereien bis auf Minderheitsbeteiligungen verkauft, so dass sich Chargeurs Wool vor allem auf den Handel mit Kammzügen und anderen Wollprodukten konzentriert. Auf diese Weise will man sein Kapital effizienter einsetzen, da der Handel bei steigenden Preisen mehr Ertrag abwerfen kann als das margenschwache und kapitalintensive Kämmereigeschäft.



Chargeurs-Geschäftsbericht 2000, der auf steigende Gewinne plakativ aufmerksam macht



Die BWK und Chargeurs im Vergleich (Daten in Mio. € umgerechnet)



BWK

Chargeurs Wool

Jahr
Umsatz
Jahresüberschuss
Umsatz
Operatives Ergebnis
1993
260,4
-5,5
505,5
12,8
1994
450,3
3,9
616
42,2
1995
426
-8,5
688,6
7,2
1996
392
-3,3
618,6
-3,7
1997
395,3
6,5
664,2
26,7
1998
333,5
-11,1
465,5
2,1
1999
271,6
-6
435,5
7,2
2000
266,4
1,4
494
20
Quelle: ad-hoc-Meldungen der BWK, Geschäfsberichte von Chargeurs


Seit dem ersten Gruppenabschluss im Jahre 1994 hat die BWK damit bis 2000 40,8 % ihres Umsatzes verloren, während es bei Chargeurs nur -19,8 % waren. Diese Entwicklung lässt sich nicht einmal durch einen nur begrenzten Personalabbau bei der BWK erklären; da die Rückgänge nur unwesentlich von einander abweichen. So ist die Zahl der Mitarbeiter bei der BWK zwischen 1993 und 2000 um 44,1 % gesunken, während es bei Chargeurs -47,4 % nur unwesentlich mehr waren.

Sehr deutlich und für die Zukunft ganz entscheidend waren jedoch die Unterschiede beim Ertrag, auch wenn sich die Zahlen nur schwer vergleichen lassen. Auf alle Fälle dürfte zumindest das für das Überleben eines Unternehmen ausschlaggebende Vorzeichen korrekt sein. Addiert man die Jahresüberschüsse für die BWK in den Jahren 1993-2000, kommt man auf einen Gesamtverlust von 22 Mio. €, also ein Ergebnis, das nur ein Unternehmen mit einem sehr soliden finanziellen Polster längere Zeit überstehen kann.

Unter den gleichen schwierigen Bedingungen auf dem Wollmarkt erzielte Chargeurs ein positives operatives Ergebnis von 114,5 Mio. €. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Position eines Teilsegmentes eines größeren Konzerns keine Zinsen und Steuern enthält, die für den Konzernabschluss berechnet werden. Allerdings ist der Unterschied derart groß, dass auch bei einer Halbierung der Zahl noch ein sehr deutlicher Vorsprung vor der BWK erhalten bleibt.

Trotzdem hat Chargeurs den Kämmereibereich nicht gerade als seinen wichtigsten Zukunftsbereich angesehen, sondern vielmehr stärker in ein anderes Segment investiert. So wurde zwischen 1995-2000 das Segmentvermögen, das 1995 noch mehr als die Hälfte des Wertes für den Gesamtkonzern ausgemacht hatte, um fast 40 % abgebaut. Stattdessen sah man im Bereich „Schutzfolien“ einen erheblich besseren Wachstumstreiber für zukünftige Erträge.



Veränderung des Segmentvermögens 1995-2000 in Mio. FF

Segment
Vermögen 1995
Vermögen 2000
Veränderung in %
Wollkämmereien
4811
2897
-39,8
Wollbekleidung
1411
1201
-14,9
Futterstoffe
2121
1714
-19,2
Schutzfolien
439
1582
260,4
Quelle: Chargeurs-Geschfstberichte 1995 und 2000


Die australischen Kämmereien: ein politisches Intermezzo


Wie sich bereits mit den stagnierenden Umsätzen in Geelog angedeutet hat, war die australische Kämmereipolitik insgesamt nur ein mehr oder weniger politisch inszeniertes Feuerwerk von etwa einem Jahrzehnt. Dabei hatten Kenner des Wollmarktes bereits Anfang der 1990_er Jahre vor dem subventionierten raschen Ausbau der Kämmereikapazität gewarnt, auch wenn die besondere Dramatik erst durch die wirtschaftliche Öffnung Chinas eintrat, die man häufig mit dem Beitritt 
Chinas zur WTO im Jahre 2001 verbindet, als anschließend die Industrieproduktion um jährlich 15 % wachsen konnte.

So hatte sich die australische Kapazität zunächst in zwanzig Jahren zwischen 1970 und 1990 verdoppelt. Ein weiterer Anstieg um 100 % gleich starkes Wachstum erfolgte dann erneut bis 1995 und war auch von den Unternehmen für die kommenden Jahre geplant. Dieser Ausbau innerhalb weniger Jahre ließ bereits einen harten Wettbewerb erwarten, sodass man nur mit dem Überleben weniger Unternehmen rechnen konnte. (Lee)

In dieser Konkurrenzsituation erfolgte dann der kaum vorhersehbare Aufstieg Chinas zum führenden Kämmereistandort weltweit, und zwar innerhalb ganz weniger Jahre. So brach die Kammzugproduktion Australiens kurz nach der Jahrtausendwende drastisch ein, so dass die Produktion 2009 nur noch bei 5 Mio. kg (WR, 71) lag, und seit 2011-2 werden praktisch keine Kammzüge mehr aus Australien exportiert. Oder genauer gesagt, machen Kammzüge nur noch 0,09% des Wollexport aus (Wollhandel, S. 3). Mit dieser rückläufigen Menge war zwangsläufig ein große Sterben der Wäschereien und Kämmereien verbunden.

Die Erklärung für diese Umwälzung der Woll- und gesamten Textilindustrie ist sehr einfach. Als China seine Handelsgrenzen öffnen konnte und vor allem den Textilexport gefördert hat, bestimmten die unterschiedlichen Kosten den Standort. Und dabei lag China eindeutig vorn, da hier die Herstellung von einem kg Kammzug $0,80 kostete, während es in Australien mit $1.50 - $2.00 pro kg mehr als das Doppelte war. (WR, 72)

Zudem wurde China noch durch preiswerten Schiffsraum begünstigt, da es für die Container, in denen Fertigwaren nach Australien transportiert worden waren, nur wenig Rückfracht gab.

Nicht einmal der vorhandene moderne Maschinenpark der neuen Kämmereien in Australien stellte sich dabei als ein Hindernis heraus, denn diese wurden kurzerhand nach China verkauft, wo man so mit westlichem Know-how und preiswerteren Mitarbeitern weiter produzieren konnte. Daher wird heute sogar teilweise die Rohwolle, aus der später in Italien Stoffe gewebt werden, zunächst nach China transportiert, um dort preiswerte Kammzüge herzustellen.



Das Schicksal der Töchter und der Gruppe


Insgesamt gesehen lässt sich der Aufbau der BWK-Gruppe im Nachhinein kaum als Erfolg bezeichnen. Die Suche nach einem zweiten Standbein in der globalisierten Wollwelt hat zu hohen Abschreibungen für die beiden zentralen Investitionen geführt, also den Bau der Kämmerei in Geelong und den Kauf der drei Wollhandelsgesellschaften. So musste die Kämmerei schließen, was, sieht man von dem Verkauf der Immobilie und den Maschinen ab, mit einer Totalabschreibung dieser Investition verbunden war, deren Kosten der Vorstand mit 100 Mio. DM beziffert hat.

Etwas differenzierter stellt sich die Situation bei den drei Wollhandelsgesellschaften dar. Hier hat die NEW ihren Wert praktisch verloren, da der osteuropäische Wollhandel in der betrachteten Zeit zusammengebrochen ist. Booth wurde hingegen nach der Übernahme der BWK durch Elders mit den vergleichbaren Aktivitäten dieser australischen Gesellschaft verschmolzen. Die Beteiligung JS Brooksbank & Co. hat die BWK schließlich im Dezember 2005 verkauft, um einen Sozialplan zu finanzieren. Dieser Abschied von dem einstigen Hoffnungskontinent Australien wurde in der der Managersprache euphemistisch als Konzentration auf die Märkte Europa und Asien „erklärt“.

Das juristische Ende der Neues Wollkontor GmbH kam dann erst am 1. Dezember 2008, als die Muttergesellschaft Elders Ltd. beschlossen hat, ihr Engagement im Wollgeschäft in Deutschland und in der Türkei zu beenden und aufgrund dessen die NEW „einzustellen“.

Diese gravierenden Folgen der Expansionsstrategie wurden jedoch erst durch die bilanzielle Aufarbeitung der Schließung der Kämmerei in Geelong in vollem Umfang sichtbar. So waren von dem 1994 vorhandenen Eigenkapital in Höhe von 154,7 Mio. DM im Konzern nach den Abschreibungen auf die australische Kämmerei in der Bilanz für 2004 nur noch 15.000 € übrig geblieben, was ohne den Beistand des Großaktionärs Elders bereits damals das Aus für die BWK bedeutet hätte.


Dieses Kapital von knapp 100 Mio. DM, das sich seit 1993 nicht verzinst hat, sondern in kleinen schleichenden operativen Schüben und durch die Schließung in Geelong einem ganz großen Zug, hätte man Anfang der 1990_er-Jahre, als der Aufbruch zur Bildung der BWK-Gruppe begann, auch anders einsetzen können. Damals betrug der Kapitalmarktzins 8%. Die Übernahme eines unternehmerischen Risikos war also für die BWK nicht wertsteigernd, sondern nicht nur wertvernichtend. Sie brachte das Unternehmen an den Rand der Insolvenz.

Der Blick auf die Teilentscheidungen des Unternehmens kann also lehrreich sein, wenn man ähnliche Investitionen unternehmen will. Auch wenn es immer Unterschiede gibt, können die Erfahrungen davor warnen, wichtige Parameter, die für die Zukunft entscheidend sind, offenbar zu sehr zu vernachlässigen. Dazu dürfte vor allem eine Überschätzung der eigenen Position und eine Vernachlässigung und Unterschätzung der Strategien der Wettbewerber zählen.

Offenbar war die Entscheidung für ein größere Kämmerei in Australien, wo die Kosten noch höher als in Blumenthal lagen, für den Vorstand so unumstößlich, dass man weder auf das Desinteresse zunächst beteiligter anderer Investoren noch auf die grundlegenden Änderung der Situation auf dem Wollmarkt reagierte und das Vorhaben auf den Prüfstand stellte.

Auch wenn die Verluste bei den Wollhandelsgesellschaften relativ weniger ins Gewicht fielen, wurden sie vermutlich zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt gekauft, da anschließend der Wollhandel insgesamt zurückging und der Kauf für die eigenen Kämmerei nicht nötig gewesen wäre, da an Wolle wegen der Verkäufe aus dem Pufferstock kein Mangel bestand. Das Problem waren vielmehr die Wollkämmereien als Abnehmer für die Kammzüge aus Geelong.

Zumindest im Nachhinein muss man feststellen, dass der Ausbau zur Gruppe zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt gestartet wurde, als es praktisch einen Zusammenbruch auf dem Wollmarkt gab, aber kein Wachstum des Wollverbrauchs, was eine Expansion immer fördert. 


Vielmehr haben sich der Wollmarkt und der Wollpreis erst wieder stabilisiert, nachdem der Schafbestand in Australien deutlich reduziert wurde. Die vom BWK-Vorstand erwartete zusätzliche Nachfrage in Asien, die nur von Australien aus befriedigt werden konnte, hat es also bisher nicht gegeben. Stattdessen kam es in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende zu einer dramatischen Verlagerung der Kämmereikapazität von Europa und Australien nach China, aber auch in einige andere Länder Ostasiens.

Daneben bleibt es eine offene Frage, warum man nicht wie in Blumenthal eine Kämmerei dort errichten wollte, wo die Abnehmer, also vor allem die Spinnereien, ihren Sitz hatten bzw. planten. Und das war auf keinen Fall Australien. 



Quellen:

EvansRayWoolly-Headed Socialism, in: Quadrant vom 22.9.2012.
Faude, Werner, BWK-Tochtergesellschaften stellen sich vor. NEW stärkt Position in Ost- und Südeuropa, in Sir Charles, 25, S. 3.
Fierravanti-Wells, Concetta, From the farm to the wardrobe … A snapshot of the Australian wool industry. Study Leave Report, August 2009.
Hall, CharlesEine bewegte Geschichte. 50 Jahre JSB, in: Sir Charles, 28, 1-5.
Lee,Tim, Mixed reaction to China's emergence as 'wool king', in: Landline vom 17.7.2005.
Massy, Charles, How wool was pulled over investors' eyes, in: The Australian vom 30.7.2011.
NN, Christian Georgi. 40 Jahre für die BWK, in: Sir Charles, 29, S. 3.
Vollstedt, Dieter BWK verdoppelt Einkaufskapazität. Drei Firmen-Neuerwerbungen erweitern unsere Aktivitäten, in; Sir Charles, 26,6.
Vollstedt, Dieter, 30 Jahre Neues Wollkontor. Für zukünftige Aufgaben gut gerüstet, in: Sir Charles, 30, 3.


Anhang:

Bilanzdaten für die BWK-Gruppe 1993 - 2000

Jahr
Umsatz
in DM
Jahresü-berschuss in DM
Dividen-de
in DM
Zahl der
Mitarbei-ter
Wichtige Geschäftsvorfälle
1993
509,3
-10,80
-
1160
Produktionsbeginn in Geelong,vollständiger Erwerb von drei Wollhandelsgesellschaften, Personalabbau im Rahmen eines Kostensenkungs- und Strukturprogramm, geringe Verkämmungsmarge
1994
880,8
7,6
-
1066
Kostensenkungsprogramm führt zu weiterem Personalabbau, für 800 Beschäftigte Arbeitsplatzgarantie und für Fall eines Gewinns eine 20%_ige Beteiligung der Mitarbeiter
1995
833,2
-16,70
-
972
Weiterhin geringe Wollnachfrage, Belastung durch hohe hohe DM-Aufwertung, Anstieg der Lagerbestände um 40%
1996
766,7
-6,4
-
881
Gerhard Harder, der zuvor den Aufbau in Geelong verantwortet hat, wird Vorstandsvorsitzender, entspannte Situation auf dem Wollmarkt
1997
773,2
12,70
3
877
Geelong erreicht plangerecht operativ die Gewinnschwelle, bessere Auslastung und Margen, reduzierte Kosten
1998
652,3
-21,80
-
788
Durch Asienkrise schwierigstes Jahr seit 25 Jahren, Überkapazitäten
1999
531,3
-11,7
-
627
Mengen- und preisbedingte Umsatzreduktion, Sozialplanaufwendungen, erstmals Einbeziehung der BREWA Umwelt-Service GmbH in den Abschluss, hohe Teilwertabschreibungen bei den Handelsgesellschaften
2000
521,0
2,6
-
596
Leicht positive Abschlüsse aller Konzernunternehmen, Einstieg der australischen Finanzgruppe Futuris über ihren Agrardienstleister Elders, Einbringung der australischen Wollkämmerei Austop, wodurch sich der Elders-Anteil an der BWK auf über 40% erhöht



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